Farm der Tiere
Regie: Oliver Frljić
Bühnenbild: Igor Pauška
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüme: Pia Maria Mackert
Choreografie: Andrea KroloFotos: Björn Klein und Jörg Schuchardt
Farm der Tiere von George Orwell
Oliver Frljić inszeniert am Staatsschauspiel Stuttgart “Farm der Tiere” von George Orwell.
“Sie werden eingesperrt und ausgebeutet, ihre Körper geschunden. Die Tiere auf dem Gutshof von Mister Jones haben die Schnauze voll. Gemeinsam leisten sie Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse und revoltieren.
Nachdem sie ihren Peiniger vom Hof vertrieben haben, steht der Umsetzung ihrer Vision theoretisch nichts mehr im Wege: Alle Tiere sind gleich.
Doch bald schon kristallisiert sich eine neue Elite heraus. Korrumpiert von der Macht stellen sich die Schweine an die Spitze der neuen Ordnung. Unter dem Vorwand, im Sinne der gesellschaftlichen Transformation zu handeln, lassen sie die anderen Tiere schuften, während sie selbst in das Haus von Mister Jones einziehen.
Sie stellen neue Regeln auf und räumen sich Privilegien ein. Das einstige Ideal einer gerechten und freien Gesellschaft erodiert zusehends und bleibt unvollendete Utopie.
Die Fabel des britischen Schriftstellers und Journalisten George Orwell kommt so harmlos wie ein Märchen daher, umso schlagkräftiger wirkt das Ende der Geschichte.
Orwells Meisterwerk aus dem Jahre 1945 ist längst nicht mehr nur als Kritik an der ehemaligen Sowjetunion zu lesen, sondern verdeutlicht, wie Gesellschaftsentwürfe zu Dystopien verkommen, wenn die ursprünglichen Ideale von einigen wenigen aus Egoismus verraten und ins Gegenteil verkehrt werden: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“
Theater der Zeit:
Schauspiel Stuttgart: Schlacht am Kuhstall
„Farm der Tiere“ von George Orwell – Regie Oliver Frljić, Bühne Igor Pauška, Kostüme Pia Maria Mackert, Choreografie Andrea Krolo
Ein paar Schweine lassen sich johlend in einer abgewrackten Mercedeskarosse zu lärmenden Marschklängen über die Bühne kutschieren – gezogen wird das Ganze von Arbeitspferden, die sich völlig verausgaben und alsbald zur immer langsamer werdenden, grässlich abschmierenden Musik zusammenbrechen: eine ziemlich bizarre Siegesfeier.
Mit solch wuchtigen Bildern erzählt Oliver Frljić derzeit am Schauspiel Stuttgart George Orwells 1944 entstandenen, 1945 veröffentlichten Jahrhunderttext „Farm der Tiere“. Der handelt davon, wie schnell sich Freiheitsideen ins Gegenteil verwandeln können.
Denn eben noch haben sich alle Tiere gemeinsam von ihren Unterdrückern, den Menschen, befreit und sich gegenseitig Gleichheit untereinander geschworen. Doch schon nach kurzer Zeit scheren ausgerechnet die Schweine aus, sichern sich Privilegien, schaffen Abstimmungen ab und übernehmen die Macht.
Orwells Fabel gilt als Schlüsselroman über die Russische Revolution und deren Pervertierung im Stalin-Terror. Mr. Jones steht für Zar Nikolaus II., die Schlacht am Kuhstall für den russischen Bürgerkrieg und so weiter – zu jeder Figur, zu jeder Aktion lässt sich ein einst real existierendes historisches Äquivalent finden.
Kurz, „Farm der Tiere“, ein Stück Weltliteratur, enthält viel politische Brisanz: zensiert von den Briten aus Rücksicht auf die zeitweise alliierte Sowjetunion, verboten im Ostblock und umgemodelt von der CIA zu antikommunistischer Propaganda. Zeichentrickfilme gibt es dazu, ein Videospiel, sogar eine Oper.
Beliebt ist die Orwell-Fabel auch im Theater, gerne mit Schweinerüssel-Masken, mit Grunzen und Wiehern, als Ferkelei, als Dystopie in einer Putenmastanlage, als Popmusical, als Jugendprojekt.
Was macht Frljić damit? Erstmal grundsätzlich: Er aktualisiert Orwell nicht und liefert auch keine erwartbaren Putin- oder sonstwelche Verweise auf die Gegenwart. Nein, seine Bearbeitung erzählt den Orwell-Text unentschlüsselt, reduziert die Figurenvielfalt und treibt die eh schon tierfabelhaft verfremdeten Szenarien vollends ins Groteske. So ermöglicht er zwei Lesarten.
Wer will, kann alles wie gehabt minutiös dechiffrieren – Schneeball als Trotzki, Napoleon als Stalin, sogar die Windmühle als Metapher für Industrialisierung und so weiter. Doch genauso gut lässt sich die Geschichte losgelöst von ihrer strengen historischen Fixierung erleben, als nun universell gültige Parabel – über den Zerfall von Utopien und den Aufstieg korrumpierter Machteliten.
Gut, debattieren ließe sich darüber, warum Frljić unter anderem die Orwell’sche Hitler-Figur Mr. Frederick gestrichen hat. Doch so konnte er die Tierfabel wohl besser aus der geschichtlichen Festlegung befreien und ihre zeitlose Relevanz aufzeigen.
Vorher gab’s eine Triggerwarnung wegen des Sujets „Mord“ und des dabei verwendeten Kunstbluts – auch Ohrstöpsel lagen bereit. Tatsächlich lässt es Frljić durchaus krachen, ab und zu dröhnt Brutalst-Rock aus dem Off. Aber auch US-Hymnen für und gegen Sklaverei klingen an, Anmutungen an „Hush little Baby“, an Arien von Donizetti oder an Edwin Starrs Antikriegs-Song „War“ – eine Soundtrack-Auswahl, die zwar die Atmosphäre kräftig auflädt, sich aber oft nur vage mit dem Verhandelten korrelieren lässt.
Optisch wirbelt das Ganze wie ein turbulentes Kostümfest vorüber – mit rosa Schweinebäuchen, opulenten Hühner-Federkleidern und braun-muskulösen Pferde-Looks. Wobei hier keine liebenswert verniedlichten Geschöpfe gezeigt werden, auch keine Charakterklischees wie dumm blökend, sondern Tiere auch mit teils menschlichen Attributen.
Frljić erzählt die Orwell’sche Allegorie auf die Revolution und die folgende Erosion der eben errungenen Freiheiten mit einer gewissen lakonischen Bitterkeit, die aber auch empathische, tragikomische und unterhaltende Aspekte zulässt.
Old Mayor (Boris Burgstaller), eine Art Marx-Lenin-Geist, steigt bei Frljić nach einem vehementen Plädoyer für die Unabhängigkeit der Tiere zufrieden in den Sarg, den er vorher eigenhändig mit dem Staubsauger gereinigt hat. Und die sieben „animalistischen“ Tier-Gebote aus der Frühzeit der Revolution („Alle Tiere sind gleich …“) werden mit viel Pomp, Gesang und Tamtam auf einem Riesen-Plakat wie unveräußerliche Wahrheiten verewigt – um wenig später bereits von der neuen Herrscherschicht, den Schweinen, wieder relativiert und verfälscht zu werden („ … aber manche sind gleicher“).
Napoleon alias Stalin wirkt bei Julian Lehr zunächst unauffällig, gleichsam wie ein ganz normales Schwein – bevor er sich zum neuen Zaren, zum grausamen Diktator entwickelt und seinen Rivalen Schneeball alias Trotzki, bei Valentin Richter ein glänzender Rhetor, vertreiben und liquidieren lässt. Auch in der Zuspitzung der Machtkämpfe auf die Parolen „Drei-Tage-Woche“ versus „Volle Krippe“ hält sich die Regie an Orwells Original. Die Einengung erkämpfter Freiräume wird von Quieker – Hannah Müller als knallharte Propaganda-Beauftragte – gnadenlos schöngeredet.
Freilich zeigt Frljić auch, wie die Tiere als scheinbar mündige, emanzipierte Subjekte in Verzweiflung und Not zu manipulierbaren Objekten werden – und hilflos zwischen schreihalsigen Demagogen hin und her rennen. Dass die Regie bei der Kehrtwende Napoleons zurück zum Handel mit feindlichen Farmen eine riesige Freiheitsstatue aufbauen lässt, gehört zu den weniger zwingenden, wenngleich spektakulären Bildeinfällen dieser Inszenierung.
Mehr Dringlichkeit entwickelt die Schilderung des unterdrückten Widerstands der Hühner-Fraktion um ihren Repräsentanten (Karl Leven Schroeder). Der Versuch, das Ganze kurz vor Schluss mit buzzwords wie „Kindermörder“ und „Völkermord“ doch noch an heutige Debatten anzudocken, wirkt eher aufgesetzt.
Vom düsteren Original-Finale, in dem Tiere und Menschen wieder fatal verwechselbar werden, weicht Frljić jedoch deutlich ab. Denn ähnlich wie eine spätere Verfilmung zeigt er einen zweiten Aufstand der Tiere – allerdings verfremdet und surreal in Zeitlupe: Napoleon wird beseitigt. Und die Fackel der umgestürzten Freiheitsstatue wird zum Grill umfunktioniert – für Bratwürste aus der flugs eingerichteten, tiereigenen Schweine-Schlachterei. Darüber lässt sich lange nachdenken.
Auf jeden Fall: ein nur scheinbar absurder Schluss, bei dem Hoffnung und Horror dicht beieinander liegen.
In Stuttgart hat sich Frljić, seit 2022 Ko-Leiter am Gorki-Theater, bereits seit 2018 unter Intendant Burkhard C. Kosminski mit Klassiker-Inszenierungen wie „Romeo und Julia“ oder „Schuld und Sühne“ ein gewisses Standing beim Publikum erarbeitet – mit einer überraschend ungewöhnlichen Bildersprache, in der immer wieder wildes Denken aufblitzt.
Auch jetzt, bei „Farm der Tiere“, fährt Frljić so einiges auf, erneut spektakulär und ideenreich, wenn auch mit Abstrichen. Klar, es gibt stärkere Arbeiten von ihm. Dennoch, die Gefahrenzonen des viel gespielten Bühnenhits – fabulierende Betulichkeit, schultheatriger Tier-Karneval, redundante Aktualisierungen – werden elegant umschifft.
Was bleibt? Eine eigenwillige Inszenierung, irgendwo zwischen dystopischer Satire und abgründiger Farce.
Die deutsche Bühne:
Schweine, Krieg und Macht
George Orwell: Die Farm der Tiere
Am Schauspiel Stuttgart kommt George Orwells parabelhafte Geschichte „Farm der Tiere“ aus dem Beginn des Kalten Krieges ganz zeitlos auf die Bühne.
Als George Orwell den Roman „Farm der Tiere“ im Jahr 1945 niederschrieb, konzipierte er diese Geschichte von einem Aufstand der Tiere gegen die unterdrückenden Menschen als Parabel über den Stalinismus.
Aber das Märchen von den Schweinen, die am Ende doch gleicher sind als die anderen Tiere, weist weit über diese historische Perspektive hinaus. Oliver Frljić, der diesen Stoff am Schauspiel Stuttgart in Szene setzt, knüpft genau an diesem Punkt an.
Er erzählt die Geschichte von der Revolution der Tiere – zumindest zu zwei Dritteln – nach, aber löst sie in seinen Bildern vom historischen Kontext ab.
Denn ihn interessiert weniger der Vermenschlichungsprozess der Schweine, sondern es geht um die Frage der Macht beziehungsweise deren Missbrauch. Insbesondere das Wesen des Kriegs rückt er ins Zentrum: Was einmal zur eigenen Absicherung diente, wird nun zum Mittel der Vernichtung des Anderen.
Nach dem Genozid an den Hühnern, die sich weigern, ihre Eier an Menschen abzuliefern, heißt es: „Je grausamer der Krieg ist, um so schneller ist er vorbei.“ Die Bezüge zu gegenwärtigen Kriegen drängen sich auf, ohne dass sie in der Aufführung explizit genannt würden.
Frljić arbeitet in seinen Inszenierungen mit starken Bildern: Die Schweine brauchen in Stuttgart zu ihrer Repräsentation einen alten Mercedes. Die Windmühle, die bei Orwell eine große Bedeutung hat, wird hier durch die Freiheitsstatue symbolisiert. Das macht Sinn, weil die Tiere immer wieder in einen Diskurs über Freiheit geraten und von den Schweinen niedergebügelt werden.
Ansonsten ist die Bühne von Igor Pauška leer. An der Seite stehen ein paar Gatter herum, die Atmosphäre schaffen. Wichtiger ist das Licht von Jörg Schuchhardt – mit Gegenlichtblenden, Blitzen und Gassen, die mit Neonröhren geschaffen werden.
Am Ende dann fallen die Tiere mit Messern über Napoleon her, den Schweineanführer, den Julian Lehr aasige Züge gibt. Ein Schweinekadaver wird hereingefahren: Die Revolution frisst ihre Kinder und startet eine neue. Im Blackout bleibt die Frage offen, welche Wendung diese nehmen wird …
Pia Maria Mackert hat für die Tiere Kostüme aus Fatsuits geschaffen. Sie spielt mit kleinen realistischen Details (wie Federn bei den Hühnern), um eine Wiedererkennung zu ermöglichen.
Diese Wechsel zwischen grotesken und realistischen Momenten bestimmen auch die Choreografien von Andrea Krolo zu einer spannenden Musikauswahl, in der harte Beats dominieren.
Der kroatische Regisseur Oliver Frljić untersucht in seiner Interpretation von George Orwells Klassiker „Farm der Tiere“, wie korrumpierbar Eliten durch Macht sind. Die Inzenierung richtet den Blick dabei auch auf den Rechtsruck in den USA und Europa.
SWR
George Orwells Klassiker ist aktueller denn je
„Farm der Tiere“ steht für die Rechte aller Tiere. Unabhängig von ihrer Art. Doch mit der Freiheit ist es bald vorbei, denn die Schweine übernehmen schnell die Führung. Um ihre Macht zu erhalten, unterjochen sie die anderen Tiere mit Parolen von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Die Theaterarbeiten des streitbaren Regisseurs lösen oft Kontroversen aus. Egal, ob es um Kritik an der katholischen Kirche, die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen oder die politischen Umstände im ehemaligen Jugoslawien ging.
Derzeit beschäftigen ihn vor allem Rechtspopulisten, die mit ihren vereinfachten Botschaften in den USA oder Europa besonders leichtes Spiel hätten, so Frljić.
Der 48-Jährige inszeniert schon lange an Bühnen in ganz Europa. Oft laut und kraftvoll mit viel Fantasie und Bildern, die sich einbrennen. Inzwischen möchte er allerdings weniger provozieren als früher.
Anfänglich versuchte Frljić, sich mehr oder weniger mit allem und jedem anzulegen. Aber das hat sich mit der Zeit geändert. Jetzt versuche er, seinem Publikum ganz unterschiedliche Ansichten zu einer bestimmten Sache zu vermitteln.
Mit seiner Arbeit will er die Menschen aufrütteln. Doch der wachsende Rechtspopulismus und die aktuellen Konflikte lassen Oliver Frljić derzeit wenig zuversichtlich in die Welt schauen.
Denn all das lenke vom größten Problem ab, das die Menschheit derzeit habe: dem Klimawandel. Für ihn die derzeit schlimmste Bedrohung, die viele ignorierten. Dafür fehle ihm das Verständnis.
Im Moment sei seine Kunst für ihn persönlich sehr wichtig, so Frljić. Sie sei das letzte Instrument, das ihm helfe, wenigstens ein bisschen Sinn zu stiften.
Das Portal
Regie: Herbert Fritsch
Bühne: Herbert Fritsch
Dramaturgie: Sabrina Zwach
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüm: Bettina Helmi
Musik: Charlie CasanovaFotos: Björn Klein und Jörg Schuchardt
Das Portal – Bauhaus inspiriertes Lichtdesign von Jörg Schuchardt
Tauchen Sie ein in die Welt der schrillen Theaterkomödie von Nis Momme Stockmann, die am 19. Januar 2024 unter der Regie von Herbert Fritsch am Schauspiel Stuttgart uraufgeführt wurde.
Die Inszenierung setzt nicht nur auf witzige Dialoge und eine mitreißende Handlung, sondern auch auf ein beeindruckendes Lichtdesign von Jörg Schuchardt.
Das Lichtdesign von ist mehr als nur eine technische Komponente – es ist eine künstlerische Meisterleistung, die das Publikum in die surreale und dynamische Atmosphäre der Theaterwelt eintauchen lässt. Jörg Schuchardt, der kreative Kopf hinter dem Lichtkonzept, lässt sich von den Prinzipien des Neoplastizismus inspirieren, einem Stil, der eng mit der Bauhaus-Kunst verbunden ist.
Die Bühne erstrahlt in einem bunten und fortwährend wechselnden Licht, das in geometrischen Formen tanzt und so eine visuelle Harmonie im Stil des Neoplastizismus schafft. Dieses Lichtspiel fängt nicht nur die Essenz der Theaterproduktion ein, sondern dient auch als künstlerischer Ausdruck der Konflikte und Spannungen, die in der Handlung auf dramatische Weise entfaltet werden.
Die Verwendung von geometrischen Formen im Lichtdesign ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern auch symbolträchtig. Es spiegelt die Vielschichtigkeit der Theaterwelt wider, in der verschiedene Charaktere, Motive und Intrigen miteinander verflochten sind. Das Spiel mit Licht und Schatten wird zu einem metaphorischen Element, das die Ambivalenz und Paradoxie des Theaters als Ort der Höhen und Tiefen unterstreicht.
Inmitten des chaotischen Geschehens auf der Bühne, wo Generalintendant Geldoff um Vertragsverlängerung kämpft und Chefdramaturg Eisenstern einen Putsch plant, wird das Lichtdesign zu einem zentralen Akteur. Es unterstützt nicht nur die Handlung, sondern hebt auch die emotionalen Nuancen und theatralen Höhepunkte hervor.
Die Produktion präsentiert sich als eine Hommage an das Theater in all seiner Komplexität, Schönheit und Grausamkeit. Das Lichtdesign von Jörg Schuchardt fügt diesem Gesamtkunstwerk eine weitere Dimension hinzu, die das Publikum in eine visuelle Symphonie entführt und die Theaterszene mit einem zeitgemäßen Neoplastizismus erlebbar macht. Erleben Sie eine Theaterproduktion, bei der das Licht nicht nur beleuchtet, sondern auch eine Geschichte erzählt.
Presse:
FAZ:
Herbert Fritsch, der deutsche Theatermeister der Komik, braucht für seine Inszenierungen nicht unbedingt Stücke mit Text. Sie funktionieren in Chaplin’scher Stummfilm-Ästhetik durch die totale Überzeichnung der Charaktere, ihre ständige Wiederholung absurder Handlungen, durch präzise in das Bühnenbild hineinkomponierte lebendige Bilder aller Ensemblemitglieder im Raum und die Bereitschaft der Schauspieler, sich für keinen Spaß zu schade zu sein.
Nis-Momme Stockmann, der lange als einer der verheißungsvollsten deutschen Nachwuchsdramatiker galt und in langen Textblöcken von der Verlorenheit seiner Außenseiterfiguren erzählte, hat sich trotzdem gewünscht, dass Fritsch die Uraufführung seines neuen Theaterstücks übernimmt. Denn der Autor hat sich auf ein neues, schwieriges Terrain vorgewagt: „Das Portal“ ist eine Komödie, eine schrille Persiflage auf den Theaterbetrieb selbst, und bei Fritsch kann man sich sicher sein, dass er das Publikum zum Lachen bringt.
Es geht um die Mitarbeiter des finanziell desaströs dastehenden Theaters Helios, in dem es vor Intrigen nur so wimmelt. Chefdramaturg Eisenstern (Sebastian Röhrle) möchte, dass auch das neue Stück ein Flop wird, damit er danach das Haus übernehmen kann, für Intendant Elias Geldoff ist die Premiere ein letzter Versuch, sich bei der Kulturpolitik zu beweisen. Das Stück spielt mit allen möglichen Theaterklischees…
Aber es geht nicht nur um Klischees, sondern auch um eine Reflexion über das Theater selbst, über Machtmissbrauch, die Legitimation von Theater in Zeiten knapper Kassen. Stockmanns Text ist lustig, intelligent, selbstreferenziell, schwachsinnig, ernsthaft, kitschig, größenwahnsinnig. Er schert sich nicht um seine Umsetzbarkeit – aber es erstaunt auch nicht, dass die Horde von 3000 Dämonen und der aus 25 Kindern bestehende Chor in Fritschs Version nicht vorkommen.
Als Erster macht sich Sebastian Blomberg den Text zu eigen, den Fritsch zusammen mit der Livemusikerin und Künstlerin Charlie Casanova aus Berlin nach Stuttgart mitgebracht hat. Optisch an einen Stummfilm-Mephisto erinnernd, eröffnet er als Intendant Elias Geldoff in der Mitte der riesigen Bühne den Abend, indem er tänzelnd und überkandidelt einen Monolog über Schwellen von Türen in die Welt des Theaterbetriebs hält.
Auf der Rückwand der Bühne und dem Bühnenboden sind gelbe, blaue und rote Lichtkreise, Rechtecke und Quadrate zu sehen, die an Farbfiguren von Klee und Kandinsky erinnern.
Der Abend wimmelt von Szenen, die man sich immer wieder ansehen könnte, weil Fritsch wie gewohnt aus den Schauspielern maximale Spiellust herauskitzelt und szenisch furchtlos mit den vielen abenteuerlichen Vorgaben des Textes umgeht – wenn im Text etwa Gewitterböen das Theatergebäude auseinanderreißen wollen, rennen die Schauspieler bei Fritsch mit scheppernden Blechrahmen über die Bühne.
Kritikenrundschau
“Stockmanns Stück jongliert, wenn auch nicht klischeefrei, zwischen bitterem Humor und brillanten Einfällen”, schreibt Otto Paul Burkhardt im Schwäbischen Tagblatt (22.1.2024). Hinter allem verberge sich auch eine “weitherzige Ironie, ja, eine Liebeserklärung ans Theater”. Fritsch treibe das Ganze in “eine Farce” und “durchgeknallte Spaßchoreografie”, bei der das Ensemble zu überzeugen wisse. Es gelinge “trotz einiger Abstriche” eine “böse, doch irgendwie liebenswerte Satire, von der Regie mit viel Speed ins Bizarre verschärft”, so der Kritiker.
“Dieses Theater will weder die Welt abbilden noch entschlüsseln. Es ist eine Feier des Spielerischen. Was Fritsch an den Bühnenmitteln spart, lässt er seine Truppe ins Körperliche legen”, schreibt Jakob Hayner in der Welt (22.1.2024). Dabei sei der “ernste Kern” des Klamauks, “dass das Spiel nur frei ist, wo es geschützte Räume hat”, so der Kritiker, der zufrieden ergänzt: “Solange diese Kraft zur Selbstkritik vorhanden ist, kann es einem um das Theater schon etwas weniger bang werden.”
“Stockmanns Text ist lustig, intelligent, selbstreferenziell, schwachsinnig, ernsthaft, kitschig, größenwahnsinnig”, schreibt Grete Götze in der FAZ (23.1.2023). “Der Abend wimmelt von Szenen, die man sich immer wieder ansehen könnte, weil Fritsch wie gewohnt aus den Schauspielern maximale Spiellust herauskitzelt und szenisch furchtlos mit den vielen abenteuerlichen Vorgaben des Textes umgeht.” Und weiter: “Die leiseren, ernsthafteren Töne, in denen es um eine Reflexion über den Betrieb selbst geht, um die Frage, was die Theaterkunst eigentlich leisten soll, finden dagegen weniger Gehör.”
“Ein vergnügliches Chaos”, freut sich Björn Hayer in der taz (23.1.2023). “In dieser Groteske ausschließlich eine Finte auf das Theater zu sehen, griffe zu kurz. Denn Fritschs Setting versteht sich auch als allgemeingültige Reflexion über eine sich in Blasen und Echokammern abschottende Gesellschaft, eine, die den Blick nach außen sinnbildlich durch das Portal verlernt hat. Ihr raunt diese grandiose Premiere zu: Führt eure Diskurse, aber rüstet ab, beweist vor allem ein wenig mehr Mut zur Selbstironie.”
Brott och Straff
Director: Oliver Frljić
Stage Design: Igor Pauška
Lighting Design: Jörg Schuchardt
Costume Design: Zdravka Ivandija Kirigin
Music: Daniel Regenberg
Wig and Mask: Moa Hedberg and Thea Holmberg Kristensen
Assistant Director: Anna-Lo FjellströmPhotos: Sören Vilks, Jörg Schuchardt
Brott och Straff at Dramaten Stockholm:
Perhaps Europe’s most talked about and provocative director, Oliver Frljić, stages one of the most important novels in modern literary history.
The student Raskolnikov decides to rob and kill a hated pawnbroker. Partly to create financial freedom for oneself, but also to save the world from an evil person. However, once he has carried out his crime, he breaks down, begins to doubt his previous reasoning and suffers from guilt and paranoia.
Fyodor Dostoyevsky’s psychological novel was published in 1866, and since then has never ceased to fascinate. Now the audience is thrown into Raskolnikov’s fevered mind world, in an adaptation that is also inspired by Dostoevsky’s diary.
It is about right and wrong, about whether violence can be justified, about the impact of economic factors on us humans and about the contemporary paradoxical message about the value of human life.
Press:
Expressen: “It’s a red-hot iron spike in the ass of time”
“Gustav Lindh’s phenomenal Raskolnikov sets the tone right away with his gaunt figure, pale face and hysterical energy – like a red-hot iron spike in the ass of time.”
“The director, the Bosnian-Croatian Oliver Frljić , who created political theater scandals in both Croatia and Poland, attacks Fyodor Dostoyevsky’s novel as if he first threw it on the fire and then saved the sooty pages and sorted them to his liking. Together with scenographer Igor Pauška and lighting designer Jörg Schuchardt , Frljić has created a dark and claustrophobic mosaic of tableaus, small evil fairy tales in a dark St. Petersburg. Heavy gigantic furniture, clearly defined light and a play style slightly stylized but still filled with saturated presence. Never has a premiere audience been so attentively concentrated, as completely bewitched by this black diamond.”
“The murder of the pawnbroker ends the first act, before that the focus is on the people around Raskolnikov, not the murder. The ensemble is divinely good, as if Frljić made them lift their hair. Gunnel Fred’s crazy widow Marmeladova whose drunken husband left everything in the morass, Danilo Bejarano’s bigoted fiance Luzjin as Raskolnikov’s sister, Nina Dahn’s record-breaking Dunja will marry for the money, Kristina Törnqvist pregnant as Raskolnikov’s mother and several others.
Magnus Roosmann’s portrayal of the ambiguous landowner Svidrigajlov who wronged Dunja, a repentant viveur who remarries a 16-year-old, is a master class . Electra Hallman’s Sonja, who is forced to walk the streets; her skirt’s sewn-on red flowers are brutally torn off one by one, and then walks tough in long trousers – a far cry from the holy foolish whore.
The net is tightened around Raskolnikov by Andreas Grötzinger’s investigating judge, who gets to sing Pushkin’s “To Siberia”. Dostoyevsky’s ending where Raskolnikov humbly kisses the Russian Mother Earth is usually surgically removed. Raskolnikov is instead sentenced to serve life in the contradictions of modernity, like a Hamlet, a Peer Gynt.
This is how Oliver Frljić’s “Crime and Punishment” becomes an act of resistance.”
SVT Nyheter:
“It is dark on Dramaten’s big stage. Pitch black. A few figures emerge from the darkness, illuminated obliquely from above so that they have razor-sharp outlines. It is Dostoevsky’s classic characters who once again step out of their novel selves to reflect themselves in a new time and context.”
Dagens Nyheter:
“The drama’s “Crime and Punishment” is hypnotizingly visual and refuses simplification”
“After an election campaign where crime and punishment were discussed in black and white, it is a relief to see the polyphonic, complex stage version of Dostoevsky’s novel. At Dramaten we are forced to think for ourselves.”
“Gustav Lindh, above all known from television and film, makes his Drama debut with an unpleasantly charming, emotionally acrobatic Raskolnikov. He ingeniously layers several layers of the role on top of each other, jumps between expressions as vitally as from high table edges.”
SVD
Director Oliver Frljić, with a Bosnian-Croat background, has created a universe at Dramaten. European performing arts of the best kind.
Fabian oder der Gang vor die Hunde
Regie: Viktor Bodó
Bühnenbild: Juli Balázs
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüme: Fruszina Nagy
Musik: Gábor KeresztesFotos: Jörg Schuchardt
Fabian oder der Gang vor die Hunde am Schauspiel Stuttgart
Berlin zur Zeit der Weimarer Republik: Am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme betäubt sich eine Gesellschaft, die unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise leidet, in rauschhaften Nächten und amüsiert sich dabei fast zu Tode. Die Bordelle, Künstlerateliers und obskuren Amüsierbetriebe der Stadt erkundet der arbeitslose, zweiunddreißigjährige Dr. Jakob Fabian als distanzierter Beobachter.
Auf seinen Streifzügen durch das Berliner Nachtleben erlebt Fabian eine enttäuschte Liebe und den Freitod seines Freundes Labude, außerdem wird er Zeuge des Kampfes zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Eine Anstellung bei einer rechtsnationalen Zeitung lehnt er aus moralischen Gründen ab.
Dennoch fragt er sich, warum er angesichts der politischen Verhältnisse nur ein Zuschauer bleibt und nicht selbst „ein Akteur im Welttheater“ wird. „Ich kann vieles und will nichts. Wozu soll ich vorwärts kommen? Wofür und wogegen? Nehmen wir wirklich einmal an, ich sei der Träger einer Funktion. Wo ist das System, in dem ich funktionieren kann? Es ist nicht da und nichts hat Sinn.“
Erich Kästner (1899 – 1974), dessen Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt wurden, zeichnete mit seinem 1931 erschienenen Großstadtroman Fabian ein satirisches Sittengemälde seiner Epoche. Erst 2013 erschien unter dem Titel Der Gang vor die Hunde die unzensierte Fassung des Romans. Wie er in seinem Nachwort von 1950 schrieb, hatte Kästner nur ein Ziel vor Augen: Er wollte „vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa näherte“.
Schuld und Sühne
Regie: Oliver Frljić
Bühnenbild: Igor Pauška
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüme: Maja Mirković
Musik: Daniel RegenbergFotos: Jörg Schuchardt
Oliver Frljić inszeniert am Staatsschauspiel Stuttgart “Schuld und Sühne” von Dostojewski.
“[…] obwohl wir alle wissen, dass ein Menschenleben nominell den höchsten Wert in der Gesellschaft besitzt, wird es in politischen Kämpfen als Währung benutzt. Dieser Widerspruch interessiert mich.” (Interview mit Christine Wahl)
Kann es die Theorie eines „gerechten“ Mordes geben? Die von Armut geprägten Straßen von St. Petersburg bilden die Welt, in der sich der hochintelligente, aber mittellose Jurastudent Raskolnikow zu behaupten versucht. Im Bewusstsein seiner eigenen Überlegenheit tötet er eine alte Pfandleiherin.
Doch nach der Tat befallen ihn Skrupel. Die Auseinandersetzung mit dem Ermittlungsrichter, der sich an seine Fersen heftet, weitet sich zu einem weltanschaulichen Gefecht aus, und auch die Begegnung mit Sonja, die gezwungen ist, ihre Familie durch Prostitution zu ernähren, bewirkt eine innere Umkehr.
Am Ende erwartet Raskolnikow eine langjährige Haft in einem sibirischen Straflager.
Fjodor Dostojewskis 1866 erschienener Ideenroman stellt die Frage nach der Legitimität von Gewalt und gewinnt im Angesicht der Verbrechen, mit denen wir uns in diesen Tagen konfrontiert sehen, beunruhigende Aktualität. (Schauspiel Stuttgart)
Presse zu Schuld und Sühne:
Die Deutsche Bühne:
Von gewöhnlichen und außergewöhnlichen Menschen
Fjodor M. Dostojewski: Schuld und Sühne am Schauspiel Stuttgart
“So wie das Bühnenbild von Igor Pauška Szenen nur skizziert, sie nie in ein realistisches Ambiente stellt, sondern immer die Künstlichkeit des Bühnenraumes betont, so bleibt auch die Inszenierung von Frljić mehr andeutend-assoziativ als auserzählend.
Seine Figuren agieren in einem Halbdunkel, was deren Plastizität betont. Manchmal überlappen sich Szenen auch: Da wartet Sofja im Hintergrund, während im Vordergrund noch eine andere Handlung läuft.”
“Obschon Maja Mirković Kostüme geschaffen hat, die sich historisch verorten lassen, auch die Kutsche und ähnliches auf das 19. Jahrhundert verweisen, entwickelt die Regie ein antinaturalistisches Konzept. Die Figuren führen mit wenigen Ausnahmen eine extreme Körpersprache vor.
Aber auch sonst entwickelt Frljić starke Bilder: Er lässt im grellen Gegenlicht der Christusstatue den Kopf wegblasen, den Sofja zur Andeutung einer Schwangerschaft sich umbindet; oder da entwickelt sich im Büro von Petrowitsch mit einer Trittleiter eine Slapsticknummer, oder Müller und Strobel sitzen an einem Tisch, zu dem immer weitere Tische kommen, sodass eine große Distanz zwischen den Figuren entsteht (ein Schelm, der dabei an Putin denkt).
Höhepunkt im zweiten Teil ist ein vom Schnürboden herabgelassenes Labyrinth mit Hunderten von Äxten, durch das sich am Schluss das Ensemble schlängelt.”
“Auf dieser Bühne ist immer Bewegung. Erzeugen schon die szenischen Arrangements einen starken emotionalen Sog, steigert sich dieser Eindruck noch mit den Atmosphären, die die Musik von Daniel Regenberg schafft, bei der mal unheimliche Stimmungen entstehen, dann wieder ganz zarte lyrische Töne klingen, mal die Musik auf sich aufmerksam macht, mal fast unhörbar eine Szene grundiert. Regenberg hat eine Musik komponiert, die die Inszenierung ständig begleitet und sie in ihrer Intensität steigert.”
“Und so ganz nebenbei entwickelt sich der Diskurs über gewöhnliche und außergewöhnliche Menschen zu einem sehr aktuellen – ohne es einmal direkt auszusprechen oder anzuspielen: Was da auf der Bühne verhandelt wird, ist von bedrängender Aktualität.”
Nachtkritik:
“Schuld und Sühne – Schauspiel Stuttgart
Wer ist gewöhnlich und muss sich an Gesetze halten – und wer ist ein Genie, das sich selbst über ein Gebot wie “Du sollst nicht töten” hinwegsetzen darf? In seiner Adaption des Dostojewski-Klassikers blickt Oliver Frljić auf die individuellen Motive der Figuren – und auch wenn Aktualität nicht sein Ziel ist, hat er eine Botschaft, die sich als Kommentar auf Russlands Krieg gegen die Ukraine verstehen lässt.”
“Regisseur Frljić arbeitet mit grollendem Hintergrundsound, einer abgedunkelten Bühne, die ihre Lichtspots eng auf die Individuen richtet – und im übertragenen Sinne auf ihre individuellen Motive.
Die Inszenierung hält sich kaum an die Chronologie der Erzählung Dostojewskis, schaut weniger auf den Überbau, die gesellschaftlichen Verhältnisse eines verarmten Kleinadels und Bürgertums.
Die Figuren stehen am sozialen Abgrund, aber im Zentrum stehen ihre inneren Qualen. Frljićs Raskolnikow bekennt am Ende freimütig, dass er nicht aus edlen Motiven gemordet hat, nicht um der Welt etwas zu beweisen, nicht um Mutter und Schwester aus der Not zu helfen, sondern um die Grundlage für ein eigenes besseres Leben zu schaffen.”
“Oliver Frljić legt bloß, dass es kein komplexes Konstrukt braucht, um Verbrechen zu erklären. Gewalt ist in einer Welt ohne allgemeingültige Werte gebräuchliches Mittel zum Zweck – ob man sie nun ideologisch ummantelt oder nicht. Darin ist seine Inszenierung dann doch brandaktuell.”
Don Carlos
Regie: David Bösch
Bühnenbild: David Bösch, Falko Herold
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüme: Pascale Martin
Musik: Karsten RiedelFotos: Jörg Schuchardt
Don Carlos am Schauspiel Stuttgart
Spanien im 16. Jahrhundert. Die Inquisition wütet. Despotismus, Unterdrückung, Bespitzelung und Gewalt sind an der Tagesordnung. Philipp II. regiert sein Weltreich mit schonungsloser Härte.
Aus politischem Kalkül, um den Frieden zwischen Frankreich und Spanien zu sichern, hat er Elisabeth von Valois geheiratet, die ehemalige Verlobte seines Sohnes Don Carlos. Dieser liebt seine Stiefmutter, die Königin von Spanien, noch immer – und er weiß, dass dieses Begehren ihn den Kopf kosten kann. Sie drängt den Thronfolger zur Vernunft: „Elisabeth war Ihre erste Liebe. Ihre zweite sei Spanien.“
Carlos’ Jugendfreund, der Marquis von Posa, kämpft an einer anderen Front. In den niederländischen Provinzen, von denen er zurückkehrt, ist ein Aufstand gegen die Willkürherrschaft Philipps im Gange. Für seine Vision von einem besseren Staat auf der Grundlage von Toleranz und Freiheit braucht er Carlos als Verbündeten. Mit ihm gemeinsam will er seine Idee in die Tat umsetzen.
Carlos versucht vergeblich seinen Vater zu überzeugen, ihn statt des Herzogs Alba als Heerführer nach Flandern zu schicken, wo er sich für die Interessen der Niederlande einsetzen will. Sein Wunsch nach politischer Verantwortung erfüllt sich nicht. Er bleibt ein Gefangener und unglücklich Liebender am eigenen Hof. Eine Reihe von Intrigen – Liebes- und Eifersuchtsdramen sowie strategische Machtspiele des Herzogs Alba und des Paters Domingo – bringen auch Posas Pläne zu Fall.
Ihm bleibt nur noch, selbst eine aufwendige Intrige zu inszenieren, an deren Ende seine Idee von Freiheit das Licht der Welt erblicken soll …
Romeo und Julia
Regie: Oliver Frljić
Bühnenbild: Igor Pauška
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüme: Sandra DekanićFotos: Jörg Schuchardt
Die große Reise
Regie: Stefan Wey
Bühnenbild: Jörg Schuchardt
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Ifima
Choreografie: Shaked Heller & Louis Stiens
Bühnenbild: Tom Unthan
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Servant of two Masters
Director: Michalis Sionas
Stage Design: Giannis Katranitsas
Lighting Design: Jörg Schuchardt
Music: Alexandros Ioannou
Mask Design: Martha FokaPhotos: Tasos Thomoglou, Jörg Schuchardt
Don Juan
Regie und Bühnenbild: Achim Freyer
Lichtdesign: Felix Dreyer und Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Seven heavenly Sins – Peaches
Die Rache ist mein
Regie: Annalisa Engheben
Bühnenbild: Andrej Rutar
Lighting Design: Jörg SchuchardtFotos: Björn Klein, Jörg Schuchardt
Imaginary Europe
Regie: Oliver Frljić
Bühnenbild: Oliver Frljić
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Der Würgeengel
Regie: Viktor Bodó
Bühnenbild: Lili Izsák
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Mehlberg
Stuttgarter Ballett
Choreografie: Shaked Heller
Bühnenbild: Shaked Heller
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Gier
Deutsches Nationaltheater Weimar
Regie: Christina Emig Könning
Bühnenbild: Michael Walter
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Die Physiker
Regie: Cilli Drexel
Bühnenbild: Judith Oswald
Lichtdesign: Jörg SchuchardtFotos: Jörg Schuchardt
Jörg Schuchardt
is Lighting and Stage designer and specialist for 3d visualization. At the Weißensee Academy of Art Berlin he graduated as master class student of Prof. Peter Schubert in stage design.
Jörg has collaborated in productions in all over Europe and recently guested in Stockholm at the Royal Dramatic Theatre. He realizes stage and lighting designs for major corporate events of global players like the BASF in Germany, Japan and Korea, or the Business Day at the Millennium Hall Frankfurt. Lighting Designs for church buildings widen his repertoire into architecture.
At Staatstheater Stuttgart he is collaborating with directors like Oliver Frljic, Achim Freyer, Victor Bodó and the electro punk performer Peaches.
Jörg is a Vectorworks professional with strong presentation skills, teaching experience and a profound understanding of effective visual communication.
Amerika
Schauspiel Stuttgart
Regie: Viktor Bodó
Bühnenbild: Zita Schnábel
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Video: Bors Ujvári, Nur Mohammed
Kostüme: Dóra Pattantyus
Musik: Klaus von Heydenaber
Fotos: Jörg Schuchardt
Amerika – Schauspiel Stuttgart
Kafkas unvollendet gebliebener Roman Amerika, der auch den Titel Der Verschollene trägt, beginnt mit einer Verheißung: „Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht.“
In New York wird Karl von einem reichen Onkel aufgenommen und später unter fadenscheiniger Begründung verstoßen. Auf der Suche nach Arbeit begegnet er zwei Landstreichern, die ihn ausnutzen, findet unter der Obhut der Oberköchin des Hotel Occidental einen Job als Liftboy und landet als Diener bei der ehemaligen Sängerin Brunelda.
Schließlich bekommt er eine Anstellung als Techniker beim Naturtheater von Oklahoma.
Franz Kafke Amerika ist eine Auswanderergeschichte und zugleich ein Anti-Bildungsroman: Jemand sucht in der Neuen Welt sein Glück und wird ein Niemand. In aberwitzigen Abenteuern schildert Kafka den sozialen Abstieg seines Helden und seziert humorvoll und sarkastisch den amerikanischen Traum. Er erzählt von Fremdsein und Weltverlust und von der existenziellen Suche eines Heimatlosen in der modernen Welt.
Amerika – Die deutsche Bühne
Franz Kafkas unvollendet gebliebener Roman „Amerika“ kommt am Schauspiel Stuttgart bildhaft auf die Bühne. Viktor Bodó schafft einen Abend, der unterhält, über die Gesellschaft spricht und nicht zuletzt Absurdität beinhaltet.
Wenn Safranski ein Buch über Kafka veröffentlicht, dann muss ein Anlass vorliegen: Kafka starb vor hundert Jahren 1924 – wir sind in einem „Kafkajahr“. Landauf, landab spielen auch Theater Adaptionen seiner Romane und Erzählungen. Jetzt auch am Schauspiel Stuttgart.
Viktor Bodó inszeniert den sperrigen, weil fragmentarischen Text von „Amerika“, bzw. „Der Verschollene“. In seiner Fassung hält er sich weitgehend am Ablauf des Originaltextes. Die Szenen um die beiden Landstreicher sind allerdings stark eingekürzt.
Im Zentrum steht Karl Roßmann, der von seinen Eltern nach Amerika verbannt wird, weil er ein Dienstmädchen geschwängert hat. In New York gelandet, trifft er auf seinen reichen Onkel Jakob (wunderbar aasig: Michael Stiller), der ihn aufnimmt. Als er aber gegen den Wunsch des Onkels eine Einladung annimmt, lässt auch dieser ihn verbannen.
Er landet auf der Straße, lässt sich von den Landstreichern Delamarche (Marco Massafra) und Robinson (Peer Oscar Musinowski) ausnehmen. Er findet Unterkunft und einen Job als Liftboy, doch auch dort wird er wieder mit Schimpf und Schande entlassen, nachdem der betrunkene Robinson im Hotel aufgetaucht ist: Er will ihn als Diener bei Brunelda (Therese Dörr, die mit ihren Rollen spielerische Höhepunkte setzt) holen, der nächste Schritt in eine Demütigung, bis er sein Glück (?) im Naturtheater von Oklahoma findet.
Die großen Brüche zwischen (kurzem) Glücksgefühl und tiefen Demütigungen spielt David Müller naiv aus: er leidet nie wirklich, er schaut mit großen Augen staunend auf das, was mit ihm passiert. Alles ist neu für ihn, eine Vergangenheit hat er nicht (nicht einmal denkt er an sein Kind): Es gibt nur ein Vorwärts, so schlecht dieses auch ist, er nimmt es gleichmütig hin.
Viktor Bodó unterstützt in seiner Regie das „Tumbhafte“ (Erinnerungen an „Parzival“ drängen sich auf) in der Figur des Roßmann, der von Station zu Station eilt, ohne Aussicht auf Erlösung. Müller ist auch der Einzige, der seine Rolle durchspielt: Im exzellenten Ensemble übernimmt jede*r mehrere Rollen.
Zita Schnábel hat ein langsam ansteigendes, weiß ausgeschlagenes Podestband geschaffen, eine Art Half-Pipe, dass für die einzelnen Bilder verändert werden kann: Mal schwingt es sich hinten in der Höhe, mal werden einzelne Podestsegmente hochgefahren.
Auf einer bildschirmartigen Tafel werden Videos von Bors Ujvári und Nur Mohammed projiziert wie für den Blick aus dem Fenster in New York oder die Fahrt im Lift. Die Videos sind klug eingesetzt, wie auch die atmosphärische Musik von Klaus von Heydenaber, die wie im Film im Hintergrund läuft und sich doch ins Ohr einschmeichelt.
Die Kostüme von Dóra Pattantyus verweisen auf die „goldenen Zwanziger“, die auch direkt zitiert werden, wenn das Frauenensemble im typischen Outfit eines Nightclubs der zwanziger Jahre mit „Bei mir bist du schön“ von den Andrew Sisters auftreten. Sie gibt den Figuren auch groteske Züge, wenn die Geschäftsleute Pollunder und Green in Fatsuits auftreten.
Viktor Bodó setzt auf starke atmosphärische Bilder, die filmisch konzipiert sind. Zu Beginn wird der Start eines Büroalltags gezeigt, der in die Monotonie des Alltags umschlägt: einfach schöne Bilder. Ebenso beherrscht er die Kunst der Tempi: Was eben noch mit einer enervierenden Langsamkeit begann, nimmt blitzschnell Tempo auf.
Immer wieder werden Stopps eingebaut, wenn der Erzähler (Simon Löcker) mit Originaltexten von Kafka auftritt. Über dem Ganzen schwebt Selbstironie, wenn es in der Aufführung einmal heißt: „wir vermischen poetischen Realismus und absurdes Theater in Ermangelung von etwas Besseren“.
Mit einem starken Ensemble, zu dem neben den schon Genannten Teresa Annina Korfmacher (u.a. als sadistische Clara), Reinhard Mahlberg (u.a. als perfider Hotelportier), Marietta Meguid (u.a. als resolute Oberköchin) und Celina Rongen (Dienstmädchen) gehören, schafft Bodó einen bildkräftigen Abend zwischen Unterhaltung, Groteske und sozialer Erzählung.
Amerika – Nachtkritik
“Amerika” bzw. “Der Verschollene” ist die Geschichte eines sozialen Abstiegs. Der sprichwörtliche reiche Onkel in Amerika verstößt den Protagonisten Karl Roßmann nach kurzer Zeit. Nicht besser ergeht es ihm als Hotelpage oder als Fußabtreter im Haushalt einer Sängerin.
Karl versteht einfach nicht, wie die “Dinge funktionieren” in der Fremde. Während der Ansager der Szenen (Simon Löcker) zunehmend verzweifelt, begegnet Karl seinen Mitmenschen auf jedem Schritt nach unten weiterhin mit Offenheit und Güte. David Müller spielt das mit einer begeisterten, aber nie peinlichen Naivität. Die Absurdität der Geschichte entfaltet sich mit ihm einfach durch den Gegensatz, dass die Figur rechtschaffen und aufrichtig sein will, aber in eine Welt voll Gier, Lug und Trug geworfen wird. Müller alias Karl bewegt sich durch sie mit immer neuem Erstaunen – ohne dabei als Trottel vorgeführt zu werden oder in Slapstick abzugleiten.
Fall aus der Rolle
Dem Impuls zu letzterem gibt die Inszenierung von Viktor Bodó an anderer Stelle durchaus nach. Szenen werden willkürlich durch elektronische Musik und Farbprojektionen unterbrochen.
Schauspieler fallen aus der Rolle und kommentieren die Rampenkonstruktion der Bühne (von Zita Schnábel) als Symbol für Unendlichkeit – die aber eigentlich wie eine “verkackte Skipiste” aussehe. Das wirkt – wie auch mancher arg frenetischer Schauspielansatz – stellenweise arg bemüht. Offenbar geboren aus dem Ansatz, eine dem Sujet Amerika angepasste Las-Vegas-Revue kafkaesker Merkwürdigkeiten auf die Bühne zu bringen.
Kampf gegen Papierberge
Zum Schluss kriegt die Inszenierung jedoch die Kurve. Die schwierigste Herausforderung des Romans meistert sie elegant. Das Fragment “Amerika” endet ohne Anbindung an die übrigen Szenen und ohne klaren Schluss mit dem Casting für ein “Naturtheater Oklahoma”.
Regisseur Bodó inszeniert das als eine Art Stellprobe – das Ensemble tollt über die Bühne, eine Gruppe jammt in einer Ecke, während Arbeiter am Bühnenbild herummontieren. Währenddessen kämpft Karl mit dem bürokratischen Papierberg für sein Naturtheater-Engagement. Just an dem gleichen Tisch, an dem zum Vorspiel des Stücks der Büroleiter von Josef K. saß.
Bodó betont damit in einem Bild das offene, auszuarbeitende Ende von Amerika und schafft die Klammer zur Biografie Kafkas und dessen Emigrations-Sehnsucht. Letzteres ist im Kafka-Mania-Jahr 2024 ein cleverer Schachzug.
Franz Kafka Amerika – Lichtdesign Jörg Schuchardt