Farm der Tiere
Regie: Oliver Frljić
Bühnenbild: Igor Pauška
Lichtdesign: Jörg Schuchardt
Kostüme: Pia Maria Mackert
Choreografie: Andrea KroloFotos: Björn Klein und Jörg Schuchardt
Farm der Tiere von George Orwell
Oliver Frljić inszeniert am Staatsschauspiel Stuttgart “Farm der Tiere” von George Orwell.
“Sie werden eingesperrt und ausgebeutet, ihre Körper geschunden. Die Tiere auf dem Gutshof von Mister Jones haben die Schnauze voll. Gemeinsam leisten sie Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse und revoltieren.
Nachdem sie ihren Peiniger vom Hof vertrieben haben, steht der Umsetzung ihrer Vision theoretisch nichts mehr im Wege: Alle Tiere sind gleich.
Doch bald schon kristallisiert sich eine neue Elite heraus. Korrumpiert von der Macht stellen sich die Schweine an die Spitze der neuen Ordnung. Unter dem Vorwand, im Sinne der gesellschaftlichen Transformation zu handeln, lassen sie die anderen Tiere schuften, während sie selbst in das Haus von Mister Jones einziehen.
Sie stellen neue Regeln auf und räumen sich Privilegien ein. Das einstige Ideal einer gerechten und freien Gesellschaft erodiert zusehends und bleibt unvollendete Utopie.
Die Fabel des britischen Schriftstellers und Journalisten George Orwell kommt so harmlos wie ein Märchen daher, umso schlagkräftiger wirkt das Ende der Geschichte.
Orwells Meisterwerk aus dem Jahre 1945 ist längst nicht mehr nur als Kritik an der ehemaligen Sowjetunion zu lesen, sondern verdeutlicht, wie Gesellschaftsentwürfe zu Dystopien verkommen, wenn die ursprünglichen Ideale von einigen wenigen aus Egoismus verraten und ins Gegenteil verkehrt werden: „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“
Theater der Zeit:
Schauspiel Stuttgart: Schlacht am Kuhstall
„Farm der Tiere“ von George Orwell – Regie Oliver Frljić, Bühne Igor Pauška, Kostüme Pia Maria Mackert, Choreografie Andrea Krolo
Ein paar Schweine lassen sich johlend in einer abgewrackten Mercedeskarosse zu lärmenden Marschklängen über die Bühne kutschieren – gezogen wird das Ganze von Arbeitspferden, die sich völlig verausgaben und alsbald zur immer langsamer werdenden, grässlich abschmierenden Musik zusammenbrechen: eine ziemlich bizarre Siegesfeier.
Mit solch wuchtigen Bildern erzählt Oliver Frljić derzeit am Schauspiel Stuttgart George Orwells 1944 entstandenen, 1945 veröffentlichten Jahrhunderttext „Farm der Tiere“. Der handelt davon, wie schnell sich Freiheitsideen ins Gegenteil verwandeln können.
Denn eben noch haben sich alle Tiere gemeinsam von ihren Unterdrückern, den Menschen, befreit und sich gegenseitig Gleichheit untereinander geschworen. Doch schon nach kurzer Zeit scheren ausgerechnet die Schweine aus, sichern sich Privilegien, schaffen Abstimmungen ab und übernehmen die Macht.
Orwells Fabel gilt als Schlüsselroman über die Russische Revolution und deren Pervertierung im Stalin-Terror. Mr. Jones steht für Zar Nikolaus II., die Schlacht am Kuhstall für den russischen Bürgerkrieg und so weiter – zu jeder Figur, zu jeder Aktion lässt sich ein einst real existierendes historisches Äquivalent finden.
Kurz, „Farm der Tiere“, ein Stück Weltliteratur, enthält viel politische Brisanz: zensiert von den Briten aus Rücksicht auf die zeitweise alliierte Sowjetunion, verboten im Ostblock und umgemodelt von der CIA zu antikommunistischer Propaganda. Zeichentrickfilme gibt es dazu, ein Videospiel, sogar eine Oper.
Beliebt ist die Orwell-Fabel auch im Theater, gerne mit Schweinerüssel-Masken, mit Grunzen und Wiehern, als Ferkelei, als Dystopie in einer Putenmastanlage, als Popmusical, als Jugendprojekt.
Was macht Frljić damit? Erstmal grundsätzlich: Er aktualisiert Orwell nicht und liefert auch keine erwartbaren Putin- oder sonstwelche Verweise auf die Gegenwart. Nein, seine Bearbeitung erzählt den Orwell-Text unentschlüsselt, reduziert die Figurenvielfalt und treibt die eh schon tierfabelhaft verfremdeten Szenarien vollends ins Groteske. So ermöglicht er zwei Lesarten.
Wer will, kann alles wie gehabt minutiös dechiffrieren – Schneeball als Trotzki, Napoleon als Stalin, sogar die Windmühle als Metapher für Industrialisierung und so weiter. Doch genauso gut lässt sich die Geschichte losgelöst von ihrer strengen historischen Fixierung erleben, als nun universell gültige Parabel – über den Zerfall von Utopien und den Aufstieg korrumpierter Machteliten.
Gut, debattieren ließe sich darüber, warum Frljić unter anderem die Orwell’sche Hitler-Figur Mr. Frederick gestrichen hat. Doch so konnte er die Tierfabel wohl besser aus der geschichtlichen Festlegung befreien und ihre zeitlose Relevanz aufzeigen.
Vorher gab’s eine Triggerwarnung wegen des Sujets „Mord“ und des dabei verwendeten Kunstbluts – auch Ohrstöpsel lagen bereit. Tatsächlich lässt es Frljić durchaus krachen, ab und zu dröhnt Brutalst-Rock aus dem Off. Aber auch US-Hymnen für und gegen Sklaverei klingen an, Anmutungen an „Hush little Baby“, an Arien von Donizetti oder an Edwin Starrs Antikriegs-Song „War“ – eine Soundtrack-Auswahl, die zwar die Atmosphäre kräftig auflädt, sich aber oft nur vage mit dem Verhandelten korrelieren lässt.
Optisch wirbelt das Ganze wie ein turbulentes Kostümfest vorüber – mit rosa Schweinebäuchen, opulenten Hühner-Federkleidern und braun-muskulösen Pferde-Looks. Wobei hier keine liebenswert verniedlichten Geschöpfe gezeigt werden, auch keine Charakterklischees wie dumm blökend, sondern Tiere auch mit teils menschlichen Attributen.
Frljić erzählt die Orwell’sche Allegorie auf die Revolution und die folgende Erosion der eben errungenen Freiheiten mit einer gewissen lakonischen Bitterkeit, die aber auch empathische, tragikomische und unterhaltende Aspekte zulässt.
Old Mayor (Boris Burgstaller), eine Art Marx-Lenin-Geist, steigt bei Frljić nach einem vehementen Plädoyer für die Unabhängigkeit der Tiere zufrieden in den Sarg, den er vorher eigenhändig mit dem Staubsauger gereinigt hat. Und die sieben „animalistischen“ Tier-Gebote aus der Frühzeit der Revolution („Alle Tiere sind gleich …“) werden mit viel Pomp, Gesang und Tamtam auf einem Riesen-Plakat wie unveräußerliche Wahrheiten verewigt – um wenig später bereits von der neuen Herrscherschicht, den Schweinen, wieder relativiert und verfälscht zu werden („ … aber manche sind gleicher“).
Napoleon alias Stalin wirkt bei Julian Lehr zunächst unauffällig, gleichsam wie ein ganz normales Schwein – bevor er sich zum neuen Zaren, zum grausamen Diktator entwickelt und seinen Rivalen Schneeball alias Trotzki, bei Valentin Richter ein glänzender Rhetor, vertreiben und liquidieren lässt. Auch in der Zuspitzung der Machtkämpfe auf die Parolen „Drei-Tage-Woche“ versus „Volle Krippe“ hält sich die Regie an Orwells Original. Die Einengung erkämpfter Freiräume wird von Quieker – Hannah Müller als knallharte Propaganda-Beauftragte – gnadenlos schöngeredet.
Freilich zeigt Frljić auch, wie die Tiere als scheinbar mündige, emanzipierte Subjekte in Verzweiflung und Not zu manipulierbaren Objekten werden – und hilflos zwischen schreihalsigen Demagogen hin und her rennen. Dass die Regie bei der Kehrtwende Napoleons zurück zum Handel mit feindlichen Farmen eine riesige Freiheitsstatue aufbauen lässt, gehört zu den weniger zwingenden, wenngleich spektakulären Bildeinfällen dieser Inszenierung.
Mehr Dringlichkeit entwickelt die Schilderung des unterdrückten Widerstands der Hühner-Fraktion um ihren Repräsentanten (Karl Leven Schroeder). Der Versuch, das Ganze kurz vor Schluss mit buzzwords wie „Kindermörder“ und „Völkermord“ doch noch an heutige Debatten anzudocken, wirkt eher aufgesetzt.
Vom düsteren Original-Finale, in dem Tiere und Menschen wieder fatal verwechselbar werden, weicht Frljić jedoch deutlich ab. Denn ähnlich wie eine spätere Verfilmung zeigt er einen zweiten Aufstand der Tiere – allerdings verfremdet und surreal in Zeitlupe: Napoleon wird beseitigt. Und die Fackel der umgestürzten Freiheitsstatue wird zum Grill umfunktioniert – für Bratwürste aus der flugs eingerichteten, tiereigenen Schweine-Schlachterei. Darüber lässt sich lange nachdenken.
Auf jeden Fall: ein nur scheinbar absurder Schluss, bei dem Hoffnung und Horror dicht beieinander liegen.
In Stuttgart hat sich Frljić, seit 2022 Ko-Leiter am Gorki-Theater, bereits seit 2018 unter Intendant Burkhard C. Kosminski mit Klassiker-Inszenierungen wie „Romeo und Julia“ oder „Schuld und Sühne“ ein gewisses Standing beim Publikum erarbeitet – mit einer überraschend ungewöhnlichen Bildersprache, in der immer wieder wildes Denken aufblitzt.
Auch jetzt, bei „Farm der Tiere“, fährt Frljić so einiges auf, erneut spektakulär und ideenreich, wenn auch mit Abstrichen. Klar, es gibt stärkere Arbeiten von ihm. Dennoch, die Gefahrenzonen des viel gespielten Bühnenhits – fabulierende Betulichkeit, schultheatriger Tier-Karneval, redundante Aktualisierungen – werden elegant umschifft.
Was bleibt? Eine eigenwillige Inszenierung, irgendwo zwischen dystopischer Satire und abgründiger Farce.
Die deutsche Bühne:
Schweine, Krieg und Macht
George Orwell: Die Farm der Tiere
Am Schauspiel Stuttgart kommt George Orwells parabelhafte Geschichte „Farm der Tiere“ aus dem Beginn des Kalten Krieges ganz zeitlos auf die Bühne.
Als George Orwell den Roman „Farm der Tiere“ im Jahr 1945 niederschrieb, konzipierte er diese Geschichte von einem Aufstand der Tiere gegen die unterdrückenden Menschen als Parabel über den Stalinismus.
Aber das Märchen von den Schweinen, die am Ende doch gleicher sind als die anderen Tiere, weist weit über diese historische Perspektive hinaus. Oliver Frljić, der diesen Stoff am Schauspiel Stuttgart in Szene setzt, knüpft genau an diesem Punkt an.
Er erzählt die Geschichte von der Revolution der Tiere – zumindest zu zwei Dritteln – nach, aber löst sie in seinen Bildern vom historischen Kontext ab.
Denn ihn interessiert weniger der Vermenschlichungsprozess der Schweine, sondern es geht um die Frage der Macht beziehungsweise deren Missbrauch. Insbesondere das Wesen des Kriegs rückt er ins Zentrum: Was einmal zur eigenen Absicherung diente, wird nun zum Mittel der Vernichtung des Anderen.
Nach dem Genozid an den Hühnern, die sich weigern, ihre Eier an Menschen abzuliefern, heißt es: „Je grausamer der Krieg ist, um so schneller ist er vorbei.“ Die Bezüge zu gegenwärtigen Kriegen drängen sich auf, ohne dass sie in der Aufführung explizit genannt würden.
Frljić arbeitet in seinen Inszenierungen mit starken Bildern: Die Schweine brauchen in Stuttgart zu ihrer Repräsentation einen alten Mercedes. Die Windmühle, die bei Orwell eine große Bedeutung hat, wird hier durch die Freiheitsstatue symbolisiert. Das macht Sinn, weil die Tiere immer wieder in einen Diskurs über Freiheit geraten und von den Schweinen niedergebügelt werden.
Ansonsten ist die Bühne von Igor Pauška leer. An der Seite stehen ein paar Gatter herum, die Atmosphäre schaffen. Wichtiger ist das Licht von Jörg Schuchhardt – mit Gegenlichtblenden, Blitzen und Gassen, die mit Neonröhren geschaffen werden.
Am Ende dann fallen die Tiere mit Messern über Napoleon her, den Schweineanführer, den Julian Lehr aasige Züge gibt. Ein Schweinekadaver wird hereingefahren: Die Revolution frisst ihre Kinder und startet eine neue. Im Blackout bleibt die Frage offen, welche Wendung diese nehmen wird …
Pia Maria Mackert hat für die Tiere Kostüme aus Fatsuits geschaffen. Sie spielt mit kleinen realistischen Details (wie Federn bei den Hühnern), um eine Wiedererkennung zu ermöglichen.
Diese Wechsel zwischen grotesken und realistischen Momenten bestimmen auch die Choreografien von Andrea Krolo zu einer spannenden Musikauswahl, in der harte Beats dominieren.
Der kroatische Regisseur Oliver Frljić untersucht in seiner Interpretation von George Orwells Klassiker „Farm der Tiere“, wie korrumpierbar Eliten durch Macht sind. Die Inzenierung richtet den Blick dabei auch auf den Rechtsruck in den USA und Europa.
SWR
George Orwells Klassiker ist aktueller denn je
„Farm der Tiere“ steht für die Rechte aller Tiere. Unabhängig von ihrer Art. Doch mit der Freiheit ist es bald vorbei, denn die Schweine übernehmen schnell die Führung. Um ihre Macht zu erhalten, unterjochen sie die anderen Tiere mit Parolen von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Die Theaterarbeiten des streitbaren Regisseurs lösen oft Kontroversen aus. Egal, ob es um Kritik an der katholischen Kirche, die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen oder die politischen Umstände im ehemaligen Jugoslawien ging.
Derzeit beschäftigen ihn vor allem Rechtspopulisten, die mit ihren vereinfachten Botschaften in den USA oder Europa besonders leichtes Spiel hätten, so Frljić.
Der 48-Jährige inszeniert schon lange an Bühnen in ganz Europa. Oft laut und kraftvoll mit viel Fantasie und Bildern, die sich einbrennen. Inzwischen möchte er allerdings weniger provozieren als früher.
Anfänglich versuchte Frljić, sich mehr oder weniger mit allem und jedem anzulegen. Aber das hat sich mit der Zeit geändert. Jetzt versuche er, seinem Publikum ganz unterschiedliche Ansichten zu einer bestimmten Sache zu vermitteln.
Mit seiner Arbeit will er die Menschen aufrütteln. Doch der wachsende Rechtspopulismus und die aktuellen Konflikte lassen Oliver Frljić derzeit wenig zuversichtlich in die Welt schauen.
Denn all das lenke vom größten Problem ab, das die Menschheit derzeit habe: dem Klimawandel. Für ihn die derzeit schlimmste Bedrohung, die viele ignorierten. Dafür fehle ihm das Verständnis.
Im Moment sei seine Kunst für ihn persönlich sehr wichtig, so Frljić. Sie sei das letzte Instrument, das ihm helfe, wenigstens ein bisschen Sinn zu stiften.